Die Laus im Pelz

Nicht nur Metereologen sprechen vom Klimawandel – die immer milderen und schneeärmeren Winter bereiten auch den Reifenentwicklern Kopfzerbrechen. Ohne Schnee aber verlieren Winterreifen, auf dem Höhepunkt ihrer Reife, zunehmend an Bedeutung. Gleichzeitig wird die Konkurrenz aus dem Ganzjahresreifenlager immer stärker. Unser aktueller Winterreifentest in der Größe 215/55 R 17 versucht, Grenzen zu finden und zu ziehen. Zeugen der Aktion: VW Passat Variant und Skoda Superb Combi.

Inhaltsverzeichnis

Wer kennt ihn nicht, den existenziellen Slogan der Automobilclubs und der Reifenlobby: „von O bis O – von Oktober bis Ostern“. Da gab es kein Vertun, in dieser Zeitspanne war der Einsatz von Wintergummis quasi Autofahrerehre, gesetzlich untermauert durch die „situative Winterreifenpflicht“. Schwarz und weiß, klare Regelungen.

Doch diese Einfachheit und Orientierungshilfe ist seit einigen Jahren passé: Väterchen Frost ist ein müder Geselle geworden, nurmehr eine Art verlängerter Herbst. Gelegentlich sich in nicht-alpine Regionen verirrende Schneeflocken hauchen ihr kurzes Leben auf dem viel zu warmen Asphalt aus. Winterreifen? Tolle Dinger, eigentlich, aber heutzutage nicht selten so sinnvoll wie Regenschirme in der Wüste. Damit nicht genug: Die lange Zeit belächelten Ganzjahresreifen reiften parallel und nahezu unbemerkt in den letzten Jahren zu sehr ernsthaften Konkurrenten heran, räuberten frech im Lager der Winter-Puristen (by the way: in dem der Sommernerds auch).

Atmen wir durch und fassen doch die aktuell gefühlte Meinung zur Ko-Existenz von Winter- und Allwetterreifen mal so zusammen: Winterreifen sind unter echten winterlichen Bedingungen nach wie vor das Maß der Dinge. Ganzjahresreifen rangieren unter diesem Level, müssen schließlich auch im Sommer funktionieren. Bei milderen kurzen Wintern sind sie durchaus eine echte Alternative – wenn auch nur in gemäßigteren Breiten, in schmaleren Formaten und auch nur auf kleineren Autos. So das gängige Klischee.

Unsere Testergebisse auf den nächsten Seiten bestätigen den Mainstream: Winterreifen drehen auf Schnee so richtig frei, fühlen sich bei Minustemperaturen rundum wohl. Sieben namhafte Wintergummis haben wir ins Rennen geschickt, klangvolle Namen wie Bridgestone Blizzak 6, Conti Winter Contact TS 870 P, Goodyear Ultra Grip Performance 3, Michelin Alpin 7, Nokian Snowproof 2, Pirelli Cinturato Winter 2 und Vredestein Wintrac Pro+ kämpfen um die Krone des Schneekönigs. Doch das Septett ficht den Wettkampf nicht unter sich aus: Ein Revoluzzer aus dem Ganzjahreslager grätscht respektlos dazwischen, der bekannt gute Goodyear Vector 4Seasons Generation 3, der allerdings nur zum Vergleich außer Konkurrenz mitläuft. Unvermeidliche Frage, die wir spätestens am Schluss beantworten: Netter Versuch – oder haben wir es mit dem berühmten Wolf im Schafspelz zu tun? Finden wir es gemeinsam heraus.

Winterteil

Pendler zwischen Finnland und Spanien

Die reinen Schneedisziplinen – sprich: Schnee-Handling, Schnee-Bremsen und Traktion auf Schnee – absolvierten wir auf dem unfassbar großen Testgelände von Reifenhersteller Nokian bei Ivalo im nordöstlichen Finnland. Nicht von ungefähr nennt Nokian das Areal vielsagend “White Hell“ – eine nicht ganz ungewollte Anspielung auf die „Grüne Hölle“, den berühmten Nürburgring in der Eifel.

Die „sommerlichen“ Disziplinen hingegen nahmen wir auf dem „Hakka-Ring“ unter die Räder, das ist Nokians erst vor kurzem eröffnetes, brandneues Testgelände auf einer endlos-einsamen Hochebene eine Autostunde von Madrid, ein Outback in Zentralspanien. Hierzu später mehr.

Doch bleiben wir noch eine Weile jenseits des Polarkreises und schicken die sieben plus einen Teilnehmer zum Schneebremsen. Eine beschauliche Schlittenfahrt wird das nicht.

Sicherer Grip

Wie schlagen sich die Testkandidaten bei einer Vollbremsung aus 50 km/h bis zum Stillstand auf fester, von Pistenbullys planierter Schneedecke? Kurze Antwort: durchwegs gut, einmal sogar sehr gut. Zwischen dem mit 24,94 Metern Bremsweg und mit Note “Sehr gut” Bestplatzierten, dem Goodyear Ultra Grip, und dem Bridgestone Blizzak, der mit 26,43 Metern die “längste” Distanz bis zum Halt benötigte, liegen gerundet nur schmale 1,5 Meter. Das ist letztlich auf glattem Grund so gut wie nichts. Auch erfreulich: Alle Kandidaten blieben bei den ABS-Notbremsungen brav in der Spur, Lenkkorrekturen waren praktisch nicht nötig. Auch deshalb konnten wir durchweg die Note “Gut” vergeben. Ein ausgezeichnetes Ergebnis. Ja, sogar der mitlaufende Goodyear-Ganzjahresreifen machte da keine Ausnahme und reihte sich – wenn auch weiter hinten – unter den reinen Winterspezialisten ein. Hier kam uns das erste Mal das Gedankenspiel mit der Laus in den Sinn.

Wer beißt am besten zu?

Jetzt die umgekehrte Übung: Wie kräftig können die Winter-Pneus auf der identischen Rutschbahn aus dem Stand heraus beschleunigen? Angegeben wird die Zugkraft in Newton, zur besseren Veranschaulichung haben wir auch in Kilogramm umgerechnet. Das simuliert etwa die Stärken beim Anfahren am Berg auf einer verschneiten Fahrbahn – nur eben reproduzierbar. Die Traktionskontrolle bleibt bei dieser Übung natürlich angeschaltet. Sie harmonierte sowohl beim Volkswagen Passat Variant als auch beim Skoda Superb Combi ganz ausgezeichnet mit den getesteten Reifen. Trotzdem die Unterschiede etwas deutlicher ausfallen als beim Bremsen, können sich auch diesmal alle Testkandidaten ein “Gut” verdienen, einer sogar ein “Sehr gut”. Ja, es ist wiederum der Goodyear Ultra Grip, der mit 2614 Newton die Bestmarke setzt, der Michelin sichert sich mit rund 100 Newton Rückstand auf den Spitzenreiter Platz zwei. Danach geht es Schlag auf Schlag. Der Nokian bildet mit immer noch 2391 Newton das Schlusslicht, sogar noch knapp geschlagen vom außer Wertung mitlaufenden Goodyear 4Season.

Die Kurve gekratzt

Anders als beim Nass- oder erst recht beim Trockenhandling geschieht beim Snow-Handling alles in vergleichsweise moderatem Tempo. Doch der Schein trügt, das Fahren im Grenzbereich auf Schnee ist wie ein kleiner Ritt auf Messers Schneide. Denn der Grat zwischen Noch-Haftung und Abflug in der Kurve ist recht schmal. Grundsätzlich sollen gute, moderne Winterreifen dem Autofahrer ein sicheres Gefühl vermitteln – Bremsen, Lenken, Beschleunigen im schnellen Wechsel müssen ein Mindestmaß an gewohnten Fahrzeugreaktionen garantieren. Doch das Medium Schnee hat so seine eigenen Vorstellungen von Haftung und Reibung. Schnee ändert mit der Temperatur und mit der Verdichtung teils sehr deutlich seine Kontakt-Eigenschaften: mal erstaunlich griffig, ja fast klebrig – mal eisig-rutschig und völlig anders als tags zuvor. Diese weiße, kristalline Masse ist nicht aus Versehen bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.

 

Auf der kontinuierlich präparierten Handlingpiste und bei gleichbleibend minus 8°C haben wir es hingegen mit konstanten Bedingungen zu tun, nur so lassen sich die Unterschiede der Reifen überhaupt herausfahren. Allen Probanden ist ein ab mittleren Lenkwinkeln mehr oder weniger ausgeprägtes Untersteuern zu Eigen – Conti, Bridgestone und vor allem Michelin etwa zeigen dieses Merkmal eher etwas ausgeprägter, worunter die Lenkpräzision geringfügig leidet und was bei ausgeprägteren Lastwechseln als Reaktion ein sich in die Kurve hineindrehendes Fahrzeug zur Folge hat. Das ESP hat ordentlich zu tun und fängt seine Mandanten sicher wieder ein. Ganz anders der Goodyear, aber mit leichten Abstrichen auch der Pirelli: Die Hinterachse bleibt deutlich stabiler, auch bleibt das Auto insgesamt beim scharfen Bremsen ruhiger und in der Spur. Der Vredestein erreicht nicht ganz das Niveau von Goodyear und Pirelli, fährt sich aber dennoch angenehm flüssig. Der Nokian gibt sich im Charakter ähnlich wie der Bridgestone, auch ihm fehlt eine gewisse „Contenance“ im Grenzbereich, das heißt, die Quertraktion bricht etwas ein. Und der „Außenseiter“ namens Goodyear Vector 4Season G3? Er kopiert in gewisser Weise die Verhaltensmuster der „echten“ Winterreifen, erreicht aber nicht das höhere Niveau seines Winter-Pendants aus eigenem Hause oder das des Pirelli – doch beeindruckt er alleine dadurch, wie vergleichsweise locker er hier mithält.

Unser Schnee-Fazit

Zusammenfassend lässt sich nach den Winterprüfungen im arktisch kalten Ivalo sagen: Der Goodyear Ultra Grip Performance 3 ist mit knapp über 800 Punkten und dem einzigen “Sehr gut” im Winter-Teil der Schneekönig. Dichtauf folgen mit “Gut” der Pirelli, der insbesondere beim Handling und beim Bremsen auf Schnee überzeugte, sowie der Michelin, der speziell beim Bremsen und in der Traktion Punkte sammelte. Alle anderen verdienen sich insgesamt ebenfalls ein “Gut”, auch wenn es bei Bridgestone und Nokian mit 754 Punkten im Winterteil schon etwas knapp wurde (Grenzwert 750 Pkt.) Einzig der Goodyear-Ganzjahresreifen konnte auf Schnee trotz zwei guter Einzelbewertungen mit insgesamt 748 Punkten nur noch ein “Befriedigend” einfahren – was für den Allrounder unter den Winter-Spezialisten aber durchaus beachtlich ist. Das festigt die Erkenntnis, dass die Winter-Performance aller hier getesteten Reifen wirklich sehr homogen auf hohem Niveau liegt.

Klassiker für den Winter

Die Zeiten der tristen Stahlfelgen für den Satz Winterreifen sind längst vorbei. Heutzutage muss man auch im Winter auf schicke Alus nicht verzichten – nur geeignet müssen sie sein, denn Streusalz, Dreck und Split dürfen weder der Lackierung etwas anhaben können, noch sollte die Reinigung zu aufwendig sein. Für unseren Winterreifentest haben wir deshalb die beliebte Borbet-Felge im Y-Design ausgewählt, die uns der deutsche Traditionshersteller, Automotive-Erstausrüster und Spezialist für Aftermarket- sowie Tuning-Räder zur Verfügung gestellt hat.
Das im Test verwendete Leichtmetall-Gussrad Borbet Y in der Größe 7,5 J x 17 Zoll ist seit vielen Jahren ein echter Klassiker im Borbet-Programm. Das sportlich-elegante Rad ist langlebig, perfekt verarbeitet und fein sowie besonders haltbar lackiert. Zudem steht es in vielen Größen, Lockkreisen und Farbvarianten zur Wahl. Im Test fand das Y-Rad in der Farbe Crystal Silver mit dem Lochkreis 5 x 112 Verwendung, das aus dem Volkswagen-Konzern etwa auf aktuelle VW Passat Variant und den Skoda Superb Combi, aber auch Audi A5, Seat Ateca, Skoda Karoq, oder VW T-Roc und Touran passt. Lieferbar ist das Y-Design von 16 bis 19 Zoll Durchmesser sowie in Breiten von 6,5 bis neuerdings sogar 9,5 Zoll. Neben dem bereits erwähnten Lochkreis ist das Y-Rad auch in 5 x 108 (Opel Astra), 5 x 100 (VW Polo), 5 x 114,3 sowie 5 x 120, jeweils in diversen Einpresstiefen erhältlich und ist somit ungeheuer breit einsetzbar – meist mit EU-Freigabe oder ABE, zumindest aber mit eintragungsfähigem Gutachten. Neben dem klassischen “Crystal Silver” und dem sportlichen “Black Glossy” gibt es das Borbet Y-Rad auch in stylischem “Bronce”, “E-Grey”, “Titan matt” und “Hyper Silver” Die Preise starten bei gut 110 Euro pro Rad (16 Zoll).

Nass- und Trocken-Wertung

Wir wechseln nun vom frostigen Finnland ins noch vorfrühlingshafte Spanien. Südlich von Madrid hat Nokian ein ultramodernes Testgelände auf die ansonsten ziemlich karge Hochebene gestellt. Beste Voraussetzungen also, unseren Winterpneus auf trockener und nasser Fahrbahn auf die Lamellen zu fühlen.

Wir werfen den Anker

Erste Testdisziplinen sind dort die sicherheitsrelevanten Kapitel Bremsen auf Nässe und trockenem Asphalt. Das müssen natürlich auch die Winter-Spezialisten ohne Fehl und Tadel beherrschen, denn dick verschneite Fahrbahnen sind inzwischen zumindest in Deutschland eher die Ausnahme. Deshalb werten wir die Trocken- und Nassprüfungen gegenüber den Winterprüfungen auch im Verhältnis 60 zu 40 Prozent.

Starten wir mit der Trocken-Übung aus 100 km/h bis zum Stillstand: Hier holt sich der Conti mit 40,08 Metern und knapp einem Meter Vorsprung die Krone, es folgen Bridgestone sowie dichtauf Goodyear und Michelin – allesamt gut! Für Pirelli, Nokian und Vredestein bleibt bei über 20 km/h Restgeschwindigkeit gegenüber dem Bremsbesten nur ein “Befriedigend”. Und der All-Season-Goodyear? Würde sich mit guten 40,65 Metern glatt Platz zwei sichern, wäre er nicht außerhalb der Wertung mitgelaufen. Bravo! Insgesamt muss man aber feststellen: Winterreifen bremsen auf trockenem Asphalt tendenziell deutlich länger als vergleichbare Sommerreifen. Deshalb macht es auch unabhängig von Fahrstil, Verschleiß und Temperaturen keinen Sinn, Winterreifen während des Sommers einfach durchzufahren. Nicht von ungefähr praktiziert etwa Italien ein – situatives – Winterreifenverbot in den Sommermonaten.

Zurück zu unseren Bremstests: Jetzt ist die nasse Fahrbahn dran. Hier zeigen sich alle Testkandidaten von ihrer allerbesten Seite: Gut 1,5 Meter liegen zwischen Test-Bestem und dem Schlusslicht. Das ist vergleichsweise wenig. Spitzenreiter auf Nässe ist der Bridgestone mit 29,99 Metern aus 80 km/h bis zum Stillstand. Der Conti kann es mit nur drei Zentimetern mehr fast genauso gut. Das ergibt für beide ein “Sehr gut”. Mit etwas Abstand folgen Vredestein, Nokian, Pirelli, Goodyear und Michelin, die sich alle ein “Gut” verdienen. Unser AllSeason-Einzelkämpfer reiht sich hier im Mittelfeld ein. Auch hier liegen also alle Testreifen auf einem Niveau – und das ist nach wie vor hoch.

Und wie fahren sich unsere Wettkämpfer auf dem Nass- und Trockenhandling-Parcours? Beide Pisten gehören mit zum Besten, was die Reifenindustrie zu bieten hat, der Kurvenverlauf ist intelligent und herausfordernd gezeichnet. Rasant, tricky, schnelle Lastspiele. Nichts für Fahrdynamik-Muffel.

Dancing in the rain

Beginnen wir mit dem Nasshandling. Hatte der Conti auf dem Schnee-Parcours eine eher durchwachsene Show abgeliefert, zeigt der Hannoveraner hier, was eine gelungene Nässemischung zu leisten imstande ist. Sehr Sommerreifen-ähnlich, wenn auch auf niedrigerem Grip-Niveau, wieselt der Conti durch die Kurven, lenkt stets willig und exakt ein, bleibt stabil beim Anbremsen, bietet ein hohes Maß an Beherrschbarkeit – sehr gut im Rahmen der Möglichkeiten eines Wintergummis!

Wer reicht an diese Steilvorlage heran? Es ist – Überraschung! – der Vredestein, der dem Conti frech in die Parade fährt und dessen Schau fast kopiert. Nur um Nuancen rangiert der Holländer mit einem starken „Gut“ unter dem Niedersachsen.

Als Shooting Star der zweiten Kategorie entpuppt sich der Michelin: Auch er erfreut mit gleichmäßigem Seitenkraftaufbau, nur das fast Michelin-typische, etwas zu ausgeprägte Untersteuern kostet Agilität und den einen oder anderen Bewertungspunkt. Für ein „Gut“ reicht es dennoch deutlich.

Zur Kategorie Nummer drei zählen wir das Trio aus Bridgestone, Goodyear und Pirelli: Allen gemeinsam ist eine Mischung aus etwas zu dominantem Untersteuern, gepaart mit einer gewissen „Aufziehtendenz“. Das heißt, dass das Fahrzeug nach Lastwechseln etwas zu willig in die Kurve eindreht. Fahrwerksingenieure sprechen dann von zu hoher Gier-Beschleunigung. Klar, das ESP fängt diese Eigenart wieder ein, doch lässt es Rückschlüsse auf ein nicht hundertprozentig abgestimmtes Eigenlenkverhalten zu – wohlgemerkt im Grenzbereich, also dort, wo der Normalfahrer sich eher selten bewegt. Doch in gewissen prekären Situationen tritt es eben zu Tage. Wir geben den Dreien ein „Befriedigend“.

Haben wir wen vergessen? Aber ja: das Produkt von Gastgeber Nokian und den AllSeason von Goodyear. Wir erwähnen diese beiden zusammen, weil sie sich so ähnlich sind: Sie fahren sich auf dem beregneten Parcours etwas unrund, schieben mal etwas über die Vorderräder, mal drängt das Heck ein wenig nach außen. Bei beiden erfolgt der Abriss der Nässehaftung etwas zu abrupt. Ein „Befriedigend“ attestiert dennoch, dass diese Reifen state oft the art sind. Okay, mit leichten Abstrichen.

Genug bei Nässe mit der Fliehkraft gekämpft, wechseln wir rüber zum Trockenhandling. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Disziplin nicht zwingend die Domäne von Winterreifen ist. Aber es sagt etwas darüber aus, wie sich ein Winterreifen etwa auf trocken-kalter Winterautobahn bei einem plötzlichen Ausweichmanöver verhält.

Zu den Details. Siehe da, es gibt immer wieder Überraschungen. Bei tagsüber durchgehend plus 9°C fahren sich alle Testreifen erfrischend „sommerlich“, die Umstellung zum Saisonwechsel ist für Autofahrer also heute kein Thema mehr. Insbesondere der Conti, nun endlich auch der Bridgestone, aber auch erneut der Vredestein glänzen mit willigen Lenkreaktionen, angenehmem Rückstellmoment, sehr gutmütigem Verhalten im Grenzbereich und hoher Bremsstabilität – alle sehr gut. Noch erstaunlicher: Nur knapp dahinter würde sich despektierlich der AllSeason-Goodyear mit einem „Gut“ im oberen Bereich einreihen – wenn er denn dürfte. Hätten Reifen Augen, würden unsere sieben Wintergummis diese wohl weit aufreißen.

Goodyear Nummer zwei – der eigentliche Winterreifen – reicht an seinen Konzernbruder nicht ganz heran, überzeugt dennoch mit durchgängig guten Bewertungen.

Etwas aus der Art schlägt der Michelin, der sich – grundsätzlich untersteuernd ausgelegt – nicht sonderlich willig ums Eck bewegt, bei Lastwechseln wiederum leicht zum Nachdrücken des Hecks neigt. Der Nokian wiederum zeigt sich von ganz anderem Charakter: Erfreut er zunächst mit fein abgestimmtem Basishandling, baut dieses nach mehreren Runden in der Performance wieder etwas ab – das lässt eine Bewertung mit „gut“ gerade eben nicht mehr zu. Der Pirelli macht’s paradoxerweise gerade anders herum: Fährt er sich anfangs eher unrund und dreht bei Gaswegnahme nicht übermäßig, jedoch vernehmlich ein, so stabilisiert sich sein leicht untugendhaftes Verhalten mit jeder Runde: Es scheint, die zunehmende Erwärmung des Gummis motiviert ihn und entlockt ihm mehr und mehr ein ausgewogeneres Benehmen! Doch dem Normalfahrer wollen wir im Alltag keine solche Aufwärmrunde empfehlen und klassifizieren den Pirelli daher mit einem satten „befriedigend“. Diese Note verdienen sich auch Michelin und Nokian.

Freischwimmer für alle!

Kühlen wir die Gemüter wieder ab – auf geht’s ins Wasserbecken. Genauer gesagt: in das fürs Längs-Aquaplaning. Zu Recht ist gerade diese Version des Aquaplanings besonders tückisch und gefürchtet, da es gerne unvorhergesehen in Spurrinnen oder Senken auf Autobahnen und Schnellstraßen auftritt, wo höhere Geschwindigkeiten gefahren werden. Schwimmt der Reifen im Wasser auf, ist der Fahrer machtlos. Weder Bremse noch Lenkung reagieren, man ist nur noch Passagier, bis die Pneus wieder Bodenkontakt bekommen. Genau diese Aufschwimmgeschwindigkeit eines Reifens wird im Längs-Aquaplaning-Becken ermittelt. Das Tempo wird bei jeder Durchfahrt durch das konstant 7 Millimeter hoch gefüllte Becken gesteigert, bis die Elektronik den Abriss ermittelt. Bei dieser Übung erleben wir eine handfeste Überraschung: Durchweg alle Testkandidaten überzeugen mit wahrlich exorbitant hohen Abriss-Werten. Bester ist der Nokian mit sage und schreibe 92,4 km/h, aber auch der Conti als letzter im Testfeld liegt mit 89,2 km/h nur rund 3 km/h darunter. Ja selbst der Goodyear AllSeason ist mit 87,5 km/h immer noch Spitze. Solche Tempi haben wir in dieser Breite bislang noch nicht erlebt. Deshalb: Alle bekommen für diese Leistung ein “Sehr gut”.

Etwas differenzierter und auch auf einem “normaleren” Niveau bewegen sich die Werte beim Quer-Aquaplaning, das gerne mal in überfluteten Aus- und Auffahrten auftritt.

Auch hier überzeugt der Nokian mit nun 75,5 km/h, Platz eins und “Sehr gut”. Dicht gedrängt folgen mit etwas Abstand Vredestein, Goodyear, Bridgestone und Conti – allesamt “Gut”. Michelin und Pirelli kommen mit knapp unter 70 km/h nur noch auf ein “Befriedigend”.

Rollin´, rollin´, rollin´

Der Rollwiderstand, kurz Rowi, ist heutzutage ein heißes Eisen. Er hat einen direkten Einfluss auf den Spritverbrauch eines Automobils oder – im Falle eines E-Mobils – auf dessen Reichweite. Zugegeben, 0,3 bis 0,5 Liter Minderverbrauch bei 20 bis 30 Prozent niedrigerem Rowi sind nicht die Welt. Doch in Zeiten, in denen EU-Vorgaben für den Flottenverbrauch die Fahrzeughersteller unter Druck setzen, geben diese einen Teil des Problems auch gerne an ihre erstausrüstenden Reifen-Fabrikanten weiter und fordern immer niedrigere Rowi-Werte, die helfen, Sprit zu sparen – und sei es auch nur ein Schnapsglas voll. Dabei darf man aber nicht übersehen, dass niedriger Rowi und guter Nass-Grip lange Zeit als unvereinbar galten – Grund sind die völlig unterschiedlichen Frequenzbereiche, in denen Rowi und Nassgriff arbeiten und optimiert werden müssen. Das gleichzeitig zu schaffen bekommt die Reifenindustrie mit ausgeklügelten Gummi-Mischungen inzwischen ziemlich gut hin, doch die Aufgabe bleibt anspruchsvoll.

Wie sieht es denn nun bei unseren Winterreifen aus? Spitzenreiter und damit sehr gut ist hier der Michelin Alpin 7 mit 6,9 kg/t. Der französische Traditions-Hersteller ist inzwischen nicht nur für die fast schon sprichwörtliche Langlebigkeit seiner Produkte bekannt, sondern legt auch auf den Rollwiderstand und andere umweltschonende Technologien höchsten Wert. Doch das tun andere auch und so landet der Conti nur denkbar knapp auf Platz zwei (sehr gut), gefolgt vom Goodyear Ultra Grip mit 7,3 kg/t und der Note “Gut”. Dann klafft eine kleine Lücke zu den befriedigenden Bridgestone, Nokian und Pirelli. Sie gönnen sich einheitlich 8,1 kg/t, der Vredestein trägt mit 8,4 kg/t beim Rowi die rote Laterne. Und der AllSeason-Goodyear? Nun ja, nochmal eine kleine Sensation. Mit 6,7 kg/t liefert er den Bestwert. Chapeau!

Hören und fühlen

Bleiben noch die Themenfelder Innengeräusch und Abrollkomfort. Bei ersterem ergibt sich wieder ein ziemlich homogenes Bild. Die Winterreifen neuester Generation sind wirklich leise, stören nicht mehr wie früher durch Brummen, Jaulen oder Wummern, erreichen fast das Niveau von Sommerreifen. Der Goodyear Ultra Grip und nur einen Hauch dahinter der Michelin waren die leisesten Pneus im Testfeld und werden mit einem “Sehr gut” belohnt. Dahinter reiht sich der ebenfalls sehr angenehme Bridgestone ein. Conti, Nokian, Pirelli und Vredestein liegen fast alle auf einem Niveau und erhalten ebenfalls die Note “Gut”. Unser Mitläufer für alle vier Jahreszeiten ist sogar flüsterleise und teilt sich mit dem Michelin Punktzahl und Note (80 Punkte – sehr gut).

Unsere letzte Hoffnung auf doch noch einmal deutlichere Unterschiede zwischen den Testkandidaten wurde beim Abrollkomfort enttäuscht. Auch hier lag das Feld dicht beisammen, nur Nuancen machten den Unterschied. Conti, Goodyear Ultra Grip und Michelin gefielen uns am besten, meisterten mit ihrem Eigendämpfverhalten Betonquerfugen, Schlechtwegebahn, Schlaglöcher oder auch Kopfsteinpflaster am souveränsten – sehr gut. Dicht dahinter reihten sich Bridgestone, Vredestein, Nokian und Pirelli ein, die alle die Note “Gut” verdienen. Der Goodyear Vector Ganzjahresreifen gefiel ebenfalls und hätte sich in der Wertung im Mittelfeld platziert.

Fazit

Test gewonnen, Eindeutigkeit verloren

Die High Society der Winterreifen gibt sich keine Blöße – sehen wir mal von den Handling-Disziplinen ab, bei denen größere Unterschiede zu Tage getreten sind. Doch ist das auf winterlichen Straßen – für die unsere Testkandidaten ja ausgelegt sind – so wichtig? Eher nicht, denn bei Schnee und Nässe wird in der Regel ohnehin eher etwas verhaltener gefahren. Die aus Tester-Sicht eher unbefriedigende Antwort auf die Frage nach dem besten Winterreifen aus unserem Testfeld lautet also: Man macht mit keinem dieser Reifen etwas falsch.

Der Conti ist nach Punkten unser Testsieger, holt sich seinen Vorsprung aber aus den sehr guten Trocken- und Nässewertungen. Auf Schnee ist er eher guter Durchschnitt. Umgekehrt sieht es beim Goodyear Ultra Grip Performance 3 aus. Er ist der Schnee-Meister unseres Tests und die richtige Wahl für alle, die in schneereichen Gebieten wohnen und fahren müssen. Gute Allrounder sind der Bridgestone Blizzak 6 und der Vredestein Wintrac Pro + (jeweils mit Stärken im Trockenen und Nassen), der Pirelli Cinturato Winter 2 und der Michelin Alpin 7 überzeugen dagegen eher bei den Winterprüfungen. Nur der Nokian Snowproof 2 kann keine echten Highlights setzen, ist aber trotzdem ein guter Winterreifen. Mehr denn je kommt es also auf die persönlichen Fahrprofile im Winter und die eigenen Vorlieben an, für welchen unserer Winterreifen man sich entscheidet.

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Drücken wir es mal positiv aus: Continental hat die Zeichen der Zeit erkannt und die Schwerpunkte des bewährten und weiterentwickelten 870P auf die trockenen und nassen Phasen der vierten Jahreszeit gesetzt. Hier setzt er bei Handling und Bremsen beeindruckende Bestmarken, ebenso glänzt er bei Abrollkomfort und Rollwiderstand. Auf Schnee hingegen bietet der Conti nur Mittelmaß – was immer noch bei echten Wintereinbrüchen völlig ausreichend ist. Er ist Sieger nach Punkten und belegt den 1. Platz. Doch ein „And the winner is“-Winterreifen müsste auch im Schnee Begeisterung auslösen können. Deshalb erreicht nicht einmal der Testbeste in der Gesamtnote ein „sehr gut“. Wir halten das Gesamtprodukt TS 870P dennoch klar für einen sehr gelungenen Reifen.

Der Fokus des Bridgestone liegt bevorzugt auf – nun, das ist nicht leicht zu beantworten. Handling trocken und Bremsen nass meistert er mit Bravour – bravo! Handling nass und auch Rollwiderstand hingegen sind nicht so sein Steckenpferd, andererseits sehr wohl das Längs-Aquaplaning. Der Blizzak ist somit nicht unangefochten der ausgewogenste Teilnehmer dieses Wettstreits. Und doch: In der Summe seiner Eigenschaften streicht der Bridgestone ein „gut“ ein. Nichts macht der Käufer mit diesem Reifen also falsch – er ist kein Dominator, eher ein zuverlässiger Allrounder.

Klar, die Erwartungen an das gefühlte Urgestein aller modernen Winterreifen waren natürlich hoch. „Ultra Grip“ und „Performance“ – was soll da anderes als Höchstleistung bei rauskommen? Und tatsächlich: Auf Schnee lässt der Goodyear die Konkurrenz durchaus blass aussehen, kein anderer Winterreifen handelt und bremst und treibt so gut an. Doch diese bewundernswert klare Ausrichtung fordert ihren Preis: Wie ein umgekehrtes Spiegelbild des wiederum bei Nässe und im Trockenen überragenden Conti bietet der Goodyear hier im besten Sinne nur die zweite Kategorie. Klare Sache: Autofahrer, die im Winter definitiv mit Schnee konfrontiert sind, treffen mit dem Goodyear die wohl beste Entscheidung. Und der in der Gesamtschau 2. Platz dieses Tests ist nun gewiss nicht von schlechten Eltern.

Alpin – kein anderer Reifenhersteller hat seinem Winterreifen einen so klangvollen und eindeutigen Namen verliehen. Deshalb wäre es gemein, dem Alpin 7 nun im Reigen seiner Konkurrenten eine eher durchschnittliche Hochalpen-Tauglichkeit zu bescheinigen. Und doch: Schnee, Matsch, Eis und all die anderen winterlichen Begleiterscheinungen oberhalb von 1500 m Seehöhe meistert der Michelin zwar sehr anständig, aber eben nicht fulminant. Und selbst beim Handling und beim Bremsen auf nassen wie trockenen Fahrbahnen hat es uns nicht gerade „vom Hocker gehauen“ – verzeiht uns, Édouard und André Michelin. Andererseits: Der Alpin 7 überzeugt dermaßen bei den „weichen“ Kriterien wie Rollwiderstand, Innnengeräusch und Abrollkomfort, dass Freunde dieser Reifendisziplinen maximal auf ihre Kosten kommen.

Nehmen wir es vorweg: Der tapfer mitkämpfende Nokian hatte ob der in Teilen starken Konkurrenz in diesem Test nicht eben den leichtesten Stand. Mit immerhin guten Bewertungen beim Schnee-Bremsen und bei der Traktion wird der finnische Hersteller seinem hervorragenden Winterreifen-Image gerecht. Und ganz klar ist der Snowproof 2 ein Winter-Vorbild in Sachen Aquaplaning – längs wie quer! Woran fehlt’s denn dann? Nun, die Performance bei den „Sommer“-Disziplinen wie Handling nass und trocken sowie Trockenbremsen reichen an das speziell von Conti gesetzte Level nicht heran. Die hier ebenfalls erzielte Gesamtnote „gut“ wiederum beweist: Jeder der Teilnehmer setzt Akzente und Schwerpunkte. Wer das berücksichtigt, kauft den für sein Fahrprofil passenden Reifen.

Pirelli Cinturato und Nokian Snowproof 2 – fast hätte man glauben können, es mit baugleichen Reifen zu tun zu haben, so ähnlich und unterm Strich praktisch punktgleich zeigten sich diese zwei Kandidaten. Bleiben wir beim Pirelli: Auch dieser weiß – außer beim Längs-Aquaplaning – keine weltmeisterlichen Leistungen ins Feld zu führen, zumindest im Kapitel „Nass/Trocken“. Auf der verschneiten Habenseite punktet der Winter 2 wiederum beim Handling, beim Bremsen und bei der Traktion. Sie ahnen es schon: In der Gesamt-Bepunktung ergattert auch der Pirelli ein „gut“. Er zählt wie Nokian, Michelin und Bridgestone zu den Vertretern, die zwischen den Extrempolen Schnee-Star und Nass/Trocken-Künstler ihr Zuhause gefunden haben. Pikante Note: Sein Ganzjahres-Verwandter aus gleichem Haus, der All Season SF3, errang bei unserem aktuellen Ganzjahresreifentest in 195/55 R 16 auf VW Polo einen herausragenden Gesamtsieg.

Vredestein befindet sich nach unserer subjektiven Einschätzung in einem bemerkenswerten Entwicklungsprozess, arbeitet sich – einen ähnlichen Fortschritt beobachten wir bei Falken – nicht rasant, aber kontinuierlich nach vorn. Der Wintrac Pro+ ist hierfür ein schönes Beispiel. In der für Winterreifen wohl physikalisch anspruchsvollsten Prüfung, dem Trockenhandling, bietet er der scharfen Konkurrenz von Bridgestone und Conti absolut Paroli! Doch auch in allen weiteren Kriterien überzeugt der Holländer mit durch die Bank überzeugenden Ergebnissen. Keine ins Auge springende Dominanz wie bei Conti oder Goodyear. Doch Der 4. Platz und ein sehr überzeugendes „gut“ sprechen für sich.

Eine irritierende wie faszinierende Vorstellung lieferte der außer der Wertung mitlaufende Allwetter-Pneu aus dem Hause Goodyear. Punktemäßig und in der Gesamtwahrnehmung hätte er einen gut verankerten Platz im Mittelfeld herausgearbeitet. Das ist für die sieben anderen „echten“ Winterreifen nicht unbedingt beschämend (oder doch?), zumindest aber wirft es Fragen auf. Ob es der bisher doch recht gefestigten Reifenwelt und natürlich auch den Verbrauchern gefällt oder nicht – die jüngste Generation Ganzjahresreifen hat längst die Palast-Revolution angezettelt. Die Winterreifen sind  – isoliert betrachtet – immer noch Meister ihres Fachs. Doch von hinten bröckelt der Sockel. Es gibt bereits erste Stimmen, die versierten Autofahrern ungewohnte Strategien empfehlen: Ganzjahresreifen im Winter, Sommerreifen im Sommer. Es ist nicht der erste und nicht der letzte Tabubruch. Der Reifenindustrie ist es vermutlich schnuppe: Sie verdient so oder so.

Oder lässt man es ganz sein und greift gleich zu unserem Mitläufer Goodyear Vector 4Seasons Generation 3? Der Ganzjahresreifen schlägt sich sogar unter den Winter-Spezialisten erstaunlich wacker und erzielt in der Gesamtnote ein “Gut”. Die stammt aber größtenteils aus den Nass- und Trockenwertungen, denn auf Schnee gerät er doch gegenüber den Kollegen fürs Frostige etwas ins Hintertreffen. Und doch: Die Laus im Pelz der Winterreifen entpuppt sich eher als Zecke – und lässt sich nicht mehr abschütteln.

Text: Dirk Vincken und Joachim Fischer
Fotos: Dirk Vincken

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