Früher galt zum Beispiel die Devise, dass schmale Reifen im Winter eindeutig Vorteile gegenüber breiteren Formaten haben. „Früher“, also vor einigen Jahrzehnten und damit viele, viele Reifengenerationen zuvor, stimmte das sogar: Denn die damals noch sehr grobstolligen Winterreifen hatten im Vergleich zu heutigen Winterpneus so schlechte Haftungseigenschaften, dass sie nur aufgrund ihrer kleinen Aufstandsfläche genügend Druck auf den Schnee ausüben konnten. Nur so ließ sich dieser verdichten und bot den Stollen genügend Widerstand, um sich zu verkanten und Vortrieb zu erzeugen. Heute ist das völlig anders: Bis zu zweitausend Griffkanten (die so genannten Lamellen), hochwirksame und kälteunempfindliche Gummimischungen sowie ausgeklügelte Profile machen es heute möglich, ja geradezu empfehlenswert, im Winter dieselbe Reifenbreite zu fahren wie im Sommer.
„Grüne“ Breitreifen?
Noch so ein Vorurteil, bitte? Eines, das vor geraumer Zeit durchaus Bestand hatte, heute jedoch durch andere Prinzipien längst ersetzt wurde? Nehmen wir doch mal die gängige Aussage: „Breite Hochleistungsreifen kosten viel mehr Sprit und können deshalb niemals als „grün“ und damit als ressourcenschonend gelten!“
Nun, zum Teil stimmt das, andererseits auch wieder nicht. Und mancher moderne Breitreifen ist viel grüner als sein schmaleres Pendant. Parodox, nicht wahr? Doch der Reihe nach.
Warum ist ein Reifen überhaupt verantwortlich für den Kraftstoffverbrauch? Es ist doch wohl der Motor, der Benzin oder Diesel verbrennt, und nicht der Reifen! So einfach ist das leider nicht. Ein Auto verbraucht Kraftstoff, weil es beim Fahren eine Menge von Widerständen überwinden muss. Die Kraft dazu liefert der Motor, der sich seine Energie unerbittlich aus dem Tank holt. Zu diesen unvermeidlichen Widerständen zählen Reibungsverluste (in allen sich drehenden Teilen, und das sind im Auto nun wirklich viele), der Steigungswiderstand am Berg (den hassen vor allem die Fahrradfahrer), der Luftwiderstand sowie der Rollwiderstand der Reifen.
Letzterer ist so hoch, dass er auf der Autobahn rund 20, in der Stadt sogar bis zu 30% des Krafstoffverbrauchs ausmacht. Oder anders ausgedrückt: Jede fünfte bis vierte Tankfüllung geht auf das Konto der Reifen! Hätten Sie das gedacht?
Zugegeben: Dass die meisten Autofahrer das nicht wissen und auch beim Fahren nicht spüren, kann man ihnen kaum verdenken. Unbewusst gibt man nämlich immer so viel Gas, bis die Wunschgeschwindigkeit erreicht ist. Stellt sich die Frage: Was ist denn dieser Rollwiderstand? Wie entsteht er? Kann man den nicht einfach „abschaffen“? Und macht es einen Unterschied, ob ich einen eher „braven“ Standardreifen oder einen sportlichen Breiten fahre?
Beim Abrollen auf der Straße passiert Folgendes: Jeder einzelne Gummiblock im Reifenprofil wird beim Einlaufen in die Bodenaufstandsfläche von der kreisrunden in eine flache Form auf der Straße gezwungen. Dabei wird der arme Kerl – wie seine Brüder zuvor und die nachfolgenden – gestaucht, verbogen und gezerrt. Gut, dass er nicht seinen schmerzvollen Protest hinausrufen kann. Kurz darauf wird er am anderen Ende wieder „ausgespuckt“. Bis nach einer Radumdrehung später das Spiel von vorne losgeht.
Unser Beispiel-Gummiblock hat nun aber die Eigenschaft, nur einen Teil der in ihn gesteckten Verformungsenergie durch Zurückfedern wieder abzugeben, der Rest wird in Wärme umgesetzt – als Energie für immer verloren.
Diese so genannten Hysterese-Verluste sind einerseits natürlich unerwünscht, weil Energie nutzlos an die Umgebung abgegeben wird. Andererseits aber ist die Fähigkeit, Energie aufzunehmen, unverzichtbar, um beim Auftreten von Längs- und Querkräften die Haftung auf der Fahrbahnoberfläche zu sichern. Und darum gilt, so paradox das klingen mag: Ohne Rollwiderstand taugt ein Reifen nichts.
Spaßverderber Rollwiderstand
Okay, ohne Rollwiderstand läuft also nichts. Reduzieren wir ihn doch einfach auf ein Minimum! Im Prinzip wäre das sogar eine blendende Idee – wenn es in unseren Breiten garantiert niemals regnen würde! Denn leider sind niedriger Rollwiderstand und gute Nässehaftung zwei gegensätzliche Eigenschaften beim Konstruieren eines Reifens. Die Entwickler sprechen deshalb zutreffend vom „klassischen Zielkonflikt“. Ein maximal rollwiderstandsoptimierter Reifen würde spürbar weniger Kraftstoff verbrauchen. Doch sobald die ersten Regentropfen fallen, muss das Auto in der Garage beleiben – keine wirklich brauchbare Lösung.
Doch die Lage ist nicht aussichtslos, im Gegenteil: Dank hochmoderner Gummimischungen, die aus zwei „Wundermitteln“ namens Silica und Silane bestehen, bleibt die prinzipielle Feindschaft von Haftung und Rollwiderstand zwar bestehen, doch wird dieser Spagat auf ein sehr sehr hohes Niveau gehoben. Ergebnis: Diese modernen Gummimischungen, erstmals schon in den Neunziger-Jahren des letzten Jahrhunderts eingesetzt, führen zu einer Reduzierung des Rollwiderstandes um bis zu 30 Prozent, was wiederum einer Senkung des Kraftstoffverbrauchs um bis zu fünf Prozent entspricht.
Gibt es noch andere Einflussfaktoren als die Gummimischung? Allerdings, die gibt es: Hierzu zählen der Reifendruck, die Beschaffenheit der übrigen Reifenbauteile wie Seitenwand oder Karkasse, die Steifigkeit des Gummigemischs, das Federverhalten des Reifens, die Profilgestaltung und die Verteilung des Bodendrucks auf der Straße. Eine große Rolle spielen auch Fahrbahnbeschaffenheit und die Fahrgeschwindigkeit, doch hierauf hat der Konstrukteur aus verständlichen Gründen keinen Einfluss.
Neben der Gummimischung sind das Einfederungsverhalten und die Gestaltung der Bodenaufstandsfläche des Reifens die Haupt-Stellgrößen für den Rollwiderstand. Und so haben es die Ingenieure geschafft, selbst Hochleistungsreifen zu unerwartet guten Rollwiderstandswerten zu verhelfen, sie „grün“ zu machen: Die Flanken der sportlichen schnellen Breitreifen verformen sich weniger als die vergleichsweise hohen Seitenwände von Standardreifen. Dabei geht weniger Energie verloren und das spart eben Kraftstoff. Dass diese neueste Generation von Hochleistungsreifen dennoch erstaunlich komfortabel und geräuscharm abrollt, ist das Ergebnis sehr ausgeklügelter und fein aufeinander abgestimmter Bauteile und Mischungen in der Lauffläche und im inneren tragenden Gerüst des Reifens. Manchmal stellt die moderne Technik Althergebrachtes eben auf den Kopf.
Breit = durstig – Schnee von gestern
Und das bedeutet: Moderne Hochleistungsreifen bieten neben den ohnehin überragenden Eigenschaften wie Lenkpräzision, Seitenführungspotenzial oder extrem kurzen Bremswegen auf nassen wie trockenen Straßen auch das gute Gefühl, an mancher Tankstelle vorbeifahren zu können, die man „früher“ hätte ansteuern müssen. „Breit = durstig“ – diese Formel gilt so nicht mehr. Wenn ein „Breiter“ dennoch mehr Kraftstoff verbraucht, dann liegt das am unter Umständen am höheren Luftwiderstand der Lauffläche. Der Fahrtwind trift auf mehr Stirnfläche. Auch kann es sein, dass die Luft ungünstig verwirbelt, was den Widerstand und damit den Verbrauch weiter erhöht.
Übrigens – hätten Sie’s gewusst: Alle diese Überlegungen spielen nur bis zu einer Geschwindigkeit von rund 100 km/h eine gewichtige Rolle, oberhalb diesesTempos verliert der Rollwiderstand zunehmend an Bedeutung. Mit weiter zunehmender Geschwindigkeit bestimmt immer mehr und zum Schluss fast nur noch der Luftwiderstand den Gesamtfahrwiderstand. Das liegt daran, dass der Luftwiderstand mit dem Quadrat der Geschwindigkeit wächst. Und das heißt z.B., dass bei einer Erhöhung des Tempos von 100 auf 200 km/h der Luftwiderstand sich nicht verdoppelt, sondern sogar vervierfacht. Diesen Effekt kennen sogar Radfahrer: Geht es bergab, wird das Rad zunächst erfreulich schneller, doch recht bald ist Schluss damit und will der Fahrer noch Tempo zulegen, muss er sogar in die Pedale treten, und das bergab!
Ganz einfach: Luftdruck prüfen
Darüber hinaus bleibt der korrekte Luftdruck im Reifen unverändert wichtig. Denn zu niedriger Luftdruck lässt den Reifen wieder mehr walken und das führt, wie oben beschrieben, zu höherem Rollwiderstand. Tipp: Regelmäßig den Reifendruck prüfen, z.B. bei jedem Volltanken. Und: Erhöhen Sie doch mal versuchsweise den Reifendruck (gemessen stets am kalten Reifen) um 0,2 bar gegenüber dem empfohlenen Richtwert. Wenn danach der Abrollkomfort nicht leidet, haben sie abermals den Rollwiderstand reduziert – zum Nulltarif!