In Foren, sozialen Medien und auf Bewertungsseiten schäumt so mancher Autofahrerzorn auf. Nagelneue Reifen hätten zu wenig Profil. „Früher waren es neun Millimeter. Jetzt haben sie gerade noch siebeneinhalb“. So oder so ähnlich klagen User im Internet oder beim Reifenhandel. Das ätzende Wort von der Abzocke liegt in der Luft. Aber ist die in der Tat zurückgehende Profitiefe bei neuen Reifen wirklich ein Nachteil? Wollen die Hersteller schneller einen neuen Satz Pneus verkaufen?
Nein. Geringeres Profil bedeutet nicht automatisch eine niedrigere Laufleistung. Wie lange ein Reifen hält, hängt von vielen Faktoren ab. Die Gummimischung ist ein wesentlicher. Es leuchtet ein, dass schon prinzipiell ein hartes Gummi weniger verschleißt. Doch das hätte gravierende Nachteile für Bremswege und Seitenführung. Also haben die Entwickler sehr viel Gehirnschmalz in die Mischung von Gummi mit anderen „Zutaten“ investiert. Dies, die Gestaltung des Profils selbst und viele andere Punkte bestimmen die Leistung eines Reifens – und auch seine Haltbarkeit.
Warum aber machen die Reifenherstellers das? Nur um bei der Profiltiefe und damit womöglich am Gummi zu sparen? Wieder nein. Eine treibende Kraft der Reifenentwicklung der vergangenen Jahre ist die Reduzierung des Rollwiderstands. Der ist nämlich für einen erheblichen Teil des Energieverbrauchs eines Autos verantwortlich. Tieferes Profil wiederum lässt den Reifen mehr walken und bewirkt mehr Rollwiderstand.
Weniger Profiltiefe schadet also nicht. Reifen halten inzwischen sogar länger. „Bei unseren Pkw-Reifen ist die Laufleitung zwischen 2015 und 2023 unabhängig von der Profiltiefe um rund sechs Prozent gestiegen“, sagt Prof. Dr. Burkhard Wies, Leiter Innovation und angewandte Forschung bei Continental. Der Rollwiderstand sei bei seinen Marken im gleichen Zeitraum um elf Prozent gesunken. Besser noch: „Der Nassgriff verbesserte sich im gleichen Zeitraum um vier Prozent“, erklärt der erfahrene Reifenentwickler.
Es sind wahrlich keine einfachen Zusammenhänge. Zu schwer für Sätze wie: „Kauf dir einen …“ Es folgt ein Markennamen eindeutig fernöstlichen Ursprungs. „Der hat noch echtes Profil. Zwei Millimeter mehr als …“ Hier kommen dann die Markennamen aus Deutschland, Frankreich oder Italien. Sehr billig sei er auch. Dass der gepriesene Pneu bei allen seriösen Tests in nahezu allen Disziplinen schlechte Noten bekommen hat, stört den einseitigen Blick in die Tiefen des Profils des Neureifens erst einmal nicht. Die Wahrheit tritt vielleicht dann zutage, wenn ein solcher Sparreifen auf die zwei bis drei Millimeter abgefahren ist und neue fällig werden. Womöglich geschieht das weit früher als gedacht. Wer Pech hat, merkt in einer brenzlichen Situation schon deutlich eher, dass Profitiefe kein Kaufkriterium sein sollte…