Die direkte Kontaktfläche zwischen rollendem Reifen und Fahrbahnoberfläche steckt voller ungeahnter Wechselwirkungen. Es bilden sich nämlich im Gummi molekulare Verbindungen, die gestreckt und gestaucht werden, immer wieder auseinander brechen und sich neu zusammensetzen. Und diese geradezu unkaputtbaren Molekülketten ziehen sich durch elektrostatische Ladung gegenseitig an. Neben der Verzahnung des Gummis mit dem rauen Asphalt sind es diese aufgeladenen molekularen Kräfte, die den Reifen so sehr auf der Straße „kleben“ lassen. Dieses wundersame Haftungs-Plus funktioniert aber nur auf trockener Straßenoberfläche. Bei Nässe bildet das Wasser eine undurchdringliche Trennschicht – der Reibbeiwert sinkt um bis zu 50%. Deshalb geraten wir auf nasser Straße viel schneller ins Grübeln und dann ins Rutschen. Die Gummimischung aus der streng gehüteten Hexenküche der Reifenindustrie hat also ganz erheblichen Einfluss darauf, wie gut der Reifen auf der Straße haftet.
Diese Gummimischung, eine sehr komplexe Melange aus Kautschuk, Schwefel, Ölen, Weichmachern, Kieselsäurederivaten, Beschleunigern, Alterungsschutzmittel und unzähligen anderen fein abgestimmten Zutaten, unter Druck und Hitze zu einer nachgiebig-zähfesten (Fachwort: visko-elastischen) Masse vulkanisiert und zum Schluss in eine Profil-gebende Form gepresst, treibt jeden talentierten Reifenentwickler schier zur Verzweiflung: Denn diese fertige Gummimischung soll mehrere gewünschte Eigenschaften vereinen, die sich im Prinzip gar nicht vereinen lassen: Gute Nässehaftung und niedriger Rollwiderstand schließen sich, physikalisch bedingt, gegenseitig praktisch aus. Der von der Autoindustrie (und auch von der EU) so forcierte geringe Rollwiderstand führt unvermeidlicherweise zu Einbußen bei der Reifenhaftung, auch kurz ‚Grip‘ genannt. Das liegt daran, dass – Achtung, Klugscheißermodus – die beiden Kontrahenten Haftung und Rollwiderstand in völlig unterschiedlichen Frequenzbereichen optimiert werden müssen. So gerät die Reifenoberfläche beim Bremsen etwa in hochfrequente ultraschnelle Schwingungen (zwischen 1000 und 10 Milliarden Hz), wohingegen die Verformung der Reifenstruktur bei jeder Radumdrehung nur genau einmal erfolgt, also rund 15 mal pro Sekunde (was 15 Hz entspricht) bei Tempo 100. Erst das „Wundermittel“ Silika ermöglicht es seit den Neunziger-Jahren des letzten Jahrhunderts, Haftung und Rollwiderstand getrennt voneinander zu optimieren und gemeinsam auf ein höheres Niveau zu heben. Wie eine Art Droge, die Katze und Maus vereint.